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Jedermannsrecht
Das Jedermannsrecht heißt jeden willkommen.
Fotonachweis: Gösta Reiland

Natur für Jedermann

Das Jedermannsrecht ist nicht so alt, wie viele Menschen vielleicht glauben. Dennoch ist es fest in der schwedischen Seele verwurzelt.

Lerne drei Schweden kennen, die ihre Karriere dem Jedermannsrecht verdanken.

Schwedens wilde Natur ist legendär. Sie beginnt dort, wo du die Tür hinter dir schließt. Sie ist zum Spielen und Erkunden da, ein Ausflugsziel für jeden Tag. Die Schweden nutzen ihre Natur auf mutige, faszinierende Weise. Das einzige Limit ist die Fantasie.

Warum sind die Schweden so eng mit der Natur verbunden? Man ist versucht, eine einfache Antwort in der uralten Abhängigkeit von der Natur zu finden. Im harten Winter, der die Menschen dazu brachte, im Sommer zu sammeln und zu ernten, was sie nur konnten. Fühlen sich die Schweden mit diesen anonymen Urahnen verbunden? Nicht wirklich.

Das Jedermannsrecht, das Recht auf freien Zugang zur Natur und ihren Früchten, unabhängig davon, wem das Land gehört, ist vielmehr ein lebendiger Ausdruck der schwedischen Kultur von jetzt und heute. Alte Traditionen, die mit dem industriellen Fortschritt und der Erfindung der Glühbirne verschwunden sind, haben mit der Vorliebe für Wälder und Seen wenig zu tun.

Wo die wilden Pilze wachsen

Pilze sammeln ist eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten der Schweden. Es ist ein Anlass, im Herbst den Wald zu entdecken. Die Suche fordert die Sinne heraus und lehrt Geduld. Am Ende die selbstgefundenen Steinpilze und Pfifferlinge zu kochen und zu essen, ist ein unendlicher Genuss. 

Kleine Freuden sind beim Jedermannsrecht inklusive. Für Mitteleuropäer mögen solche Naturerlebnisse etwas Besonderes sein, aber in Schweden ist der freie Zugang zu Wäldern und Seen so selbstverständlich, wie die Luft zum Atmen – eine Ressource für alle Menschen, über die man nicht weiter nachdenken muss.

Rut Folke lebt in einem Stockholmer Vorort, ist aber so gar kein Stadtkind. Sie ist eine von 200 staatlichen Pilzberatern. Mit anderen Worten: Es ist ihr Job, die Schweden in Sachen Pilzkunde auszubilden und ihnen zu zeigen, was man essen kann und was nicht. Sie gibt Kurse, sogar auf Englisch und Deutsch, für alle, die mehr über die Schätze des Waldes wissen möchten.

Delikatessen des Waldes
Während der hellen Jahreszeit sind die Schweden so oft wie möglich an der frischen Luft. Sie picknicken und kochen gerne unter freiem Himmel. Pfifferlinge schmecken besonders lecker, wenn man sie frisch über dem Feuer zubereitet. Foto: Ulf Lundin/Imagebank.sweden.se Photo: Ulf Lundin/Imagebank.sweden.se

Rut Folke hat ein enges Verhältnis zur Natur, wie die meisten Schweden. Sie ist im Wald in ihrem Element, denn schon als Kind hat ihre Großmutter sie mit ins Grüne genommen. Einen Waldspaziergang bezeichnet sie als „Grün tanken“.

„Die Natur macht mich glücklich, im Wald fühle ich mich sicher. Spazieren und Wandern hält mich fit. Es gibt so viel zu sehen: Beeren, Vögel und Blumen. Selbst ich, die mit Pilzen arbeitet, findet es noch immer spannend zu lernen, wie das Ökosystem Wald funktioniert“, sagt Folke.

Schwedens grünes Gesetz

Wandern
Das schwedische Recht zum freien Zugang zur Natur und den natürlichen Schätzen nennt man auf Schwedisch „allemannsrätten“, übersetzt Jedermannsrecht. Mit dem Recht kommen auch Pflichten: Besucher sollen die Natur so hinterlassen, wie sie sie vorgefunden haben. Foto: Maskot/Folio/imagebank.sweden.se Photo: Maskot/Folio/imagebank.sweden.se

Wenn man die Schweden nach dem Ursprung vom Jedermannsrecht fragt, würden die meisten wahrscheinlich etwas von mittelalterlichen Bräuchen murmeln. Doch das ist nicht ganz richtig. Das Gesetz ist um einiges jünger. 

Im Gesetzbuch steht explizit nur wenig: „Alle sollen laut dem Jedermannsrecht Zugang zur Natur haben“ heißt es im schwedischen Umweltgesetz. Ist das Konzept wirklich so selbsterklärend, dass ein Satz genügt? Die Behörde für Umwelt- und Naturschutz bietet eine praktische Auslegung und so findest du einige wichtige Regeln des Jedermannsrechts hier.

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Der Natur so nahe

In Schweden bist du nie weit von der Natur entfernt. Auch die größeren Städte sind voller Parks und es ist niemals weit zu Naturschutzgebieten oder offenen Landschaften.

Foto: Simon Paulin/imagebank.sweden.se

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Der Natur so nahe

Foto: Simon Paulin/imagebank.sweden.se

Wandern an der Hohen Küste

Foto: Friluftsbyn Höga Kusten/imagebank.sweden.se

Fahrradtour

Foto: Simon Paulin/imagebank.sweden.se

Camping

Foto: Ulf Lundin/imagebank.sweden.se

Camping

Foto: Clive Tompsett/imagebank.sweden.se

Feiern zu Mittsommer

Foto: Lena Granefelt/imagebank.sweden.se

Blaubeeren pflücken

Foto: Clive Tompsett/imagebank.sweden.se

Auf der Suche nach Pilzen

Foto: Johan Willner/imagebank.sweden.se

Abendliches Bad.

Foto: Johan Willner/imagebank.sweden.se

Angeln

Foto: Anders Tedeholm/imagebank.sweden.se

Langlaufabenteuer

Foto: Anna Öhlund/imagebank.sweden.se

Die Naturgebote haben wenig mit alten Zeiten zu tun. Im Gegenteil, das mittelalterliche Gesetz verhängte harte Strafen über alle, die auf privatem Grund Beeren pflückten. Erst als man ab dem 19. Jahrhundert im großen Stil Nahrungsmittel anbaute, waren die natürlich vorkommenden Pflanzen und Früchte weniger umkämpft. Dann durften sich Fremde auch auf Privatgrund aufhalten und an den Früchten der Natur bedienen.

In den 1940er Jahren machte ein Richter die Probe aufs Exempel. Gunnar Carlesjö wollte den freien Zugang zur Natur legal durchsetzen. Seine Argumentation mag nicht ganz ehrlich gewesen sein, denn er verwies auf Passagen von jahrhundertealten Quellen und die damals neumodische Gewohnheit, sich frei in der Natur zu bewegen. Anhand von alten Dokumenten und einem neueren Trend kam er zu dem Urteil, dass „jedes Mannes Recht“ das damals geltende Strafgesetz übertrumpft.

Doch nichts änderte sich bis ins Jahr 1974, als das Parlament ohne weitere Einsprüche das Gesetz begründete, das Schweden heute hat. Es sollte bis 1994 dauern, bis es offiziell in die Verfassung aufgenommen wurde.

Wilde Schweden damals und heute 

Man könnte endlos von der schwedischen Natur schwärmen, auch wenn viele Erlebnisse unbequem sind. Es gab mutige Schweden, die die Herausforderungen der Natur zu ihrem Lebensstil gemacht haben. Abgesehen von den Wikingern hast du vielleicht vom Abenteurer Ola Skinnarmo gehört, der 2001 versuchte, Grönland auf Skiern zu überqueren. Drei Jahrhunderte vorher entwickelte Carl von Linné, zwar nicht in Lebensgefahr, dafür unter Aufwendung tausender Überstunden, das System der lateinischen Namen für Flora und Fauna, das heute noch gilt.

Auch die schwedischen Royals haben eine enge Verbindung zur Natur: Der aktuelle König Carl XVI. Gustaf zeigt sich gerne in Jägermontur. 500 Jahre zuvor kam Rebell Gustav I. Vasa auf den Thron und gründete den schwedischen Nationalstaat. Nicht ohne Abenteuer: Sein legendärer Lauf durch Schwedens Winterlandschaft, mit dem dänischen Feind dicht auf den Fersen, hat den berühmten Skilanglaufwettbewerb Vasaloppet inspiriert. Er wird seit 1922 in Dalarna ausgetragen und ist der älteste, größte und längste seiner Art.

Renata Chlumska 

Renata Chlumska ist eine der moderneren Persönlichkeiten, die sich von der Natur herausfordern lassen. Als Abenteurerin und Bergsteigerin hat sie mehr von der Welt gesehen als die meisten anderen Menschen. Den Großteil ihres Trainings absolviert sie in der Heimat Schweden.

"Würde ich außerhalb von Schweden leben, würde ich mich eingeschränkter fühlen. Für mich ist das Jedermannsrecht eine grundlegende Sache. Selbst wenn das Gebiet jemandem privat gehört, so bleibt es doch ein Teil von Schweden, zu dem jeder Zugang haben sollte", sagt die Sportlerin.

Renata war die erste Schwedin (und Tschechin, denn sie hat die doppelte Staatsbürgerschaft), die die Seven Summits bestieg, die jeweils höchsten Berge aller sieben Kontinente. 2005 brach sie zu einem großen Amerikaabenteuer auf: Mit Kajak und Fahrrad umrundete sie die 48 zusammenhängenden US-Staaten. 

Ein Jahr und zwei Monate war sie unterwegs, und es war nicht immer leicht, ein Nachtlager in der Natur zu finden: "In anderen Teilen der Welt muss man beim Campen listig sein. In Amerika habe ich oft gezeltet, wo ich es nicht durfte, und schlief mit einem mulmigen Gefühl. Auch frisches Wasser kann man sich nicht einfach nehmen. Wenn ich hingegen an der schwedischen Westküste paddle, denke ich nicht einmal daran, wem das Land oder die Insel gehört, wo ich mich gerade aufhalte."

Die weiten Reisen haben die Extremsportlerin enger mit ihrer Heimat verbunden: "Seit meiner Amerikareise schätze ich die schwedische Natur mehr. Vorher war sie selbstverständlich, aber jetzt achte ich darauf, Flora und Fauna mit Respekt zu behandeln. Schließlich ist die Natur deren Zuhause und ich bin nur Gast." 

Durch Wissen zu Respekt

Es gibt eine klassische Dichotomie zwischen Erfahrung und Wissen, zwischen Forschung und Erlebnis. Wenn es um das Jedermannsrecht geht, funktionieren beide Seiten in Symbiose. Für Entomologe Clas Källander liegt die Faszination der Natur in ihren kleinsten Bewohnern: Insekten. 

Er hat eine beeindruckende Sammlung, die es 2015 durch elegante Fotos in das erfolgreiche Buch "Der Schmetterlingsmann" schaffte. Auch die Ergebnisse seiner Studien hat er in diesem Buch einem großen Publikum zugänglich gemacht. Nichts davon wäre ohne das Jedermannsrecht möglich gewesen.

Clas sagt: "Wissen ist nicht nur die Ansammlung von Fakten, sondern eine praktische Sicht auf die Welt. Unsere menschliche Sphäre, so komplex sie auch ist, macht nur einen kleinen Teil von einem großen Ganzen aus. Wenn man sich mit der Geschichte der Welt beschäftigt, wird man Teil dieser faszinierenden Entwicklung. Das Jedermannsrecht hilft den Schweden dabei, sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen."

Der freie Zugang zur Natur hat Clas Källanders Persönlichkeit geformt: "Ohne das Jedermannsrecht wäre ich wahrscheinlich ein Gesetzesbrecher geworden. Ich wollte schon als Kind verstehen, was ich sah. Fragen, Forschen, Verstehen – das erfüllt mich. Egal, welchen Ort ich besuche, durch genaues Hinschauen wird er besonders."

Trotz jahrzehntelanger Forschung hat Clas immer noch starke Gefühle der Natur gegenüber: "Tief drinnen bin ich romantisch. Auch wenn ich weiß, wie die Dinge funktionieren, kann ich sie bewundern. Oder betrauern: Ich fühle einen starken Verlust, wenn Arten aussterben. Ein Stück Natur zu verlieren, das ist etwas Furchtbares. Die Literatur ist voll von Menschen, die die Natur romantisieren und Verluste betrauern."

Für Clas ist Wissen der beste Weg, die Natur zu bewahren: "Mein Buch soll möglichst vielen Menschen eine Vorstellung davon geben, wie die Natur in ihren Grundzügen funktioniert. Wer die Natur nicht versteht, kann sie auch nicht vor kommerziellen Ausbeutungsversuchen schützen."

Man könnte sagen, es ist ein Kreislauf. Die Natur zu bewundern führt dazu, dass man sie kennenlernen will. Und was man kennt, das liebt und respektiert man. Respekt vor der Natur ist eine Voraussetzung dafür, dass uns auch die Politiker der Zukunft den freien Zugang zu Seen und Wäldern gewähren. Für ein Gesetz ist das ziemlich tiefgründig.

Waldwanderung
Schweden ist ein großartiger Ort, wenn du dich für Natur interessierst. Ein Großteil der Landschaft wird von Wäldern und Wiesen dominiert. Dank des schwedischen Jedermannsrechts kannst du fast überall hingehen.
Foto: Ulf Lundin/Imagebank.sweden.se