Als Ergebnis der Industrialisierung und der damit einhergehenden Stadterweiterung entstand im Schweden des 19. Jahrhunderts die sogenannte Steinstadt. Diese Form des Städtebaus zeichnet sich durch mehrstöckige, aus Naturstein und Ziegel errichtete Wohnblöcke und breite Alleen aus. Man kann die Entwicklung relativ einfach nachvollziehen: Die Industrialisierung brachte mehr Menschen in die Städte, und die mussten irgendwo wohnen.
Ganz Europa baut Steinstädte
Der architektonische Trend der Steinstädte begann jedoch nicht in Schweden, sondern auf dem europäischen Kontinent: In Städten wie Paris, Wien und Berlin baute man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neue Wohnhäuser, um die wachsende Bevölkerung effizient, sicher und hygienisch zu beherbergen. Damals rissen blühende Metropolen und Industriezentren organisch gewachsene Siedlungen mit eingeschossigen Wohnbauten und Holzhäusern ab, um neuen, bewusst angelegten Stadtvierteln aus Stein Platz zu machen. Bekannte Straßenzüge wie der Wiener Ring sowie die nach dem Hobrecht-Plan errichteten Stadtteile um das alte Berlin herum waren Vorbilder der schwedischen Steinstädte.
Es war das goldene Zeitalter der Stadtplaner. In Schweden trieb Albert Lindhagen das Aufkommen der Steinstädte voran. Er entwarf 1866 den Plan für Stockholm und war 1872 an einem ähnlichen Projekt in Malmö, dem Viertel Rörsjöstaden, beteiligt. Er verfasste sogar ein Regelwerk für ganz Schweden, das Wohnhäuser mit fünf Etagen und dazwischen 18 Meter breite, rechtwinklig verlaufende Straßen vorsieht. Breitere Alleen und Parks lockern das Stadtbild auf und sorgen für frische Luft. Das Motto: Ordnung, Sauberkeit, Belüftung und Sicherheit.
Architektur in Schweden: die Steinstadt auf den Punkt gebracht
Der gemeinsame Nenner der schwedischen Steinstädte ist eher das Straßennetz auf der Karte und weniger die Erscheinung der einzelnen Häuser, weswegen sich die Fassaden voneinander unterscheiden. Dem Zeitgeist der Jahrhundertwende entsprechend, sind jedoch die meisten Gebäude im Stil der Nationalromantik, des nordischen Klassizismus und der Neorenaissance gestaltet. Auch erste Vorboten des Jugendstils sind zu sehen.
Die Stadtplaner verfolgten das klassizistische Ideal von einem geradlinigen Rastersystem und rechteckigen Häuserblöcken mit privaten Innenhöfen. Außerdem machte man Platz für breite Boulevards und Alleen, auf denen der sich verdichtende Straßenverkehr (damals noch mit Kutschen) gut vorankam.
In der Regel haben die Gebäude vier bis fünf Etagen und bestehen aus Ziegeln und Naturstein. Das Erdgeschoss ist oftmals Geschäften und Büroräumen vorbehalten, während die oberen Stockwerke in Wohnungen unterteilt sind, um sowohl Familien als auch einzelne Arbeiter unterzubringen. Das städtische Wachstum und der soziale Wandel führten aber nicht nur zu einem steigenden Wohnungsbedarf, sondern ließen auch die Zahl der öffentlichen und gewerblichen Gebäude wie Banken, Schulen, Hotels, Krankenhäuser und Fabriken zunehmen. Dem Namen zum Trotz machen die Steinstädte keine ganzen Städte, sondern nur die am dichtesten besiedelten Viertel aus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden außerdem Siedlungen um abgelegene Fabriken am Stadtrand, die architektonisch so aussehen wie die Stadtkerne.
Diese markanten, harmonisch aussehenden Viertel sind nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der schwedischen Architektur. In und um Stockholm, Göteborg, Malmö, Norrköping, Helsingborg und Sundsvall findest du mehrere Beispiele für gelungene Architektur in Schweden.
Es folgt eine Übersicht über die sehenswerten Steinstädte in Stockholm, Malmö und Sundsvall.